Einführung in die 15. philosophisch-literarische Salonnacht "Im blauen Sessel" zum Thema

ÜBER MACHT

von Karin Nowak


Meine Damen und Herren,

unsere vergangenen Salonnächte lebten von der Nähe, Nähe in den Salons, zu den Dichtern und Denkern, dem Untereinander und Miteinander. Dass es diesmal ausgedünnt sein wird, ist dem Corona Virus geschuldet. Dabei sind Viren doch chemische Verbindungen und keine machtbesessenen Wesen oder staatliche Verordnungen.


Stellen Sie sich vor, sie wären allein auf der Welt. Hätten Sie dann alle Macht, weil Ihnen alles gehört? Durchaus, jedenfalls wenn Macht einzig durch Reichtum und Besitz begründet wäre. Doch das wäre zu kurz gedacht. Der Mensch wird hineingeworfen in eine Welt, die er sich nicht ausgesucht hat. Allein ist der Mensch unter den Menschen. Einzigartig. Allein und einzigartig ist jeder, der anderen ebenso. Damit ist jeder von Fremdheit umgeben. Der Mensch will aber wissen und sucht seine eigene Bedeutung, auch im Gegenüber. Es bleibt ihm nur, sich zu orientieren an Zeichen, Bildern, in Gebärden, in Lauten und Worten, um daraus eigene Deutungen zu erfahren und ja - sogar sich welche auszudenken. Welche, die es geben wird und die es nie geben wird.


Den frühen Menschen hatten Göttinnen und Götter, das Fürchten gelehrt. Etwa siebenhundert Jahre vor Christus ersehnten sich die Menschen den Schutz einer Über-Macht und erschufen das Model eines Allmächtigen Gottes. Im Deuteronomium, dem 5. Buch Moses tritt Moses an das Lagertor: "Wer für den Herrn ist, kommt her zu mir. So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an, zieht vor das Tor. Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten."


Wie konnte der allmächtige Gott zu so einer Sprache der Gewalt gelangen? Weil seine Allmacht erdacht wurde, als in Assyrien König Assur regierte. Der Alttestamentler Otmar Keel konnte nachweisen, dass im 7.Jahrhundert politische Texte, die dem Großkönig von Assur die unbedingte Folge jedes einzelnen seiner Vasallen sichern sollten, kopiert wurden. Jan Assmann, Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschaftler erklärt dazu: Diese frühe Sprache der Gewalt aus dem assyrischen Königsrecht, das auch judäischen Könige übernahmen, hängt mit Eifersucht und Treue zusammen, mit Angst vor Verführung, Abfall, Untreue und Ehebruch und wurde seitdem als Wille des allmächtigen Gottes gepflegt und gelebt. Jahrhunderte lang. Die Sprengkraft der Sprache in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen, wird noch heute missbraucht, um damit Massen hinter sich zu bringen.


Um jede Macht, auch die Macht der Sprache in ihrer Geltung einschränken zu können, macht es Sinn, sich der Motive zu erinnern und ihren Ursprung aufzudecken. Immerhin kam mit Jesus die Liebe in die Konversation mit dem Allmächtigen. Aber - wie steht es um die Liebe, wenn eine Person eine andere vergöttert? Dann klappt das mit dem ersten Gebot nicht mehr so richtig oder? Die Liebe sollte doch eine Himmelsmacht sein! - Aber:  auch, wenn ich mich jeden Tag auf den Marienplatz stelle und rufe: ich will Liebe! – werde ich schwerlich von Liebe durchdrungen. Liebe überkommt einen und plötzlich wächst man über sich hinaus.


Liebe kann als anonyme Macht betrachtet werden, analog einer Lawine in den Bergen, einer Pandemie, einer Schönheit oder dem plötzlichen Ende eines nahen Menschen. Es gibt Mächte, die nicht an die Beziehung zu einer Person oder einer Gruppe gebunden sind. Dazu gehört in mancher Weise auch das Internet oder ein Lottogewinn. Eine solche Macht ist für uns nicht verfügbar oder wir sind nicht auf sie vorbereitet. Sie bricht über uns herein, ganz plötzlich und verändert mit ihren Auswirkungen grundlegend das bisherige Leben des Einzelnen.


Wie Liebe, ist die Macht aber auch ein Gefühl und sie wird gefühlt. Und weil es toll ist, Macht zu fühlen, können manche nicht genug davon bekommen. Wer Macht will, inszeniert sich, will gefallen, um jeden Preis, mit allen Mitteln und sucht Zuspruch. Zuspruch ist der erste Steigbügel zur Macht und wird sogar erkauft, wie Aktuelles über den österreichischen Exkanzler Kurz ahnen lässt. Machtzuspruch bedient aber auch das unermessliche Verehrungsbedürfnis von Menschen in unserer westlichen Zivilisation.


Dass es eine Erotik der Macht, gibt, bezeugen nicht nur über 2000 gefundene Liebesbriefe von deutschen Frauen an Adolf Hitler, die von einem Amerikaner 1945 im Reichstag kurz vor ihrer Vernichtung gefunden wurden, sondern auch das Gehabe von Frauen und Männern, die sich mit Stars, Adligen, Schönen - kurz den wichtigen Leuten schmücken. Wer über den Diskurs verfügt, seine Produktion betreibt und kontrolliert, der besitzt Macht; schreibt Michel Foucault in „Macht und Wille“, die Macht zu verbieten, auszuschließen, zum Schweigen zu bringen, Zwang auszuüben. Das Herrenmagazin QUI, verriet in den 70er Jahren: …wie man den menschlichen Verstand in fünf einfachen Schritten beugt, verwirrt und zerstört.


Schnapp dir ein Opfer, isoliere es, mache es vollkommen abhängig, beherrsche es, lass es sich um Deine Anerkennung und Zustimmung bemühen, erziehe es so, dass es nach Deiner Ideologie handelt, verführe das Opfer und vermittle ihm neue sexuelle Wertvorstellungen.


Aber ist Macht denn immer nur zu fürchten? Macht kann auch Schutz bedeuten. Obwohl Macht und Befehl zusammengehören, kann ein Befehl Leben retten. Dann ist er auch als Stärkeres anerkannt. Befehle zu hinterfragen ist dennoch anzuraten. Dass sie oft mit Missbrauch gleichgesetzt werden, hängt an gemachten Erfahrungen von Missbrauch, der im Verborgenen handelt.


Licht an – Ratten raus!, -verkündete Julian Assange und das Prinzip Wikileaks. Es gibt keine gerechte Gesellschaft ohne Transparenz ihrer Machtstrukturen und keine freie Presse, wenn sie von Konzernen geleitet wird. Aber gerade im Verborgenen, entfaltet sich Kreativität, werden  starke Willen geboren, Strategien entwickelt zu produktiver Kraft bis hin zu Wissenschaft und Forschung oder einer neuen Kunstform. Solange sich beim Individuum alles um die Existenzangst dreht, – wächst der Wille zu radikalem Handeln. Geld und Reichtum setzen auf Zuspruch und Hoffnung auf Gewinn. Ob die Vision einer gerechteren Gesellschaft möglich ist, hängt nicht nur von ihren unterschiedlichen Denkmodellen ab. Mehr noch: Wem geben wir Zuspruch. Wem Widerspruch? Jedes Wort zählt. Beides bedarf einer vernünftigen Meinungsbildung und Meinungsaustausches. Denn: Jede Macht ist gerechtfertigt durch die Chance der Entmachtung.


Ich wünsche Ihnen einen heiteren und besinnlichen Abend.

Vielen Dank!