13. Salonnacht am 20. April 2018

Helden gesucht

 

 Einführung von Karin Nowak



 

 Jakob Hein, Autor

Die Orient-Mission des Leutnant Stern  

Im Ersten Weltkrieg verlaufen die Fronten zwischen Deutschen, Franzosen und Engländern nicht nur in Europa, sondern auch im Orient. Um die befreundeten Türken zu bewegen, den Dschihad gegen die Feinde Deutschlands auszurufen, will die deutsche Militärführung muslimische Kriegsgefangene öffentlichkeitswirksam in Konstantinopel freilassen. Dafür braucht es einen wie Leutnant Stern, der reichlich mit Chuzpe gesegnet ist. Er tarnt die muslimischen Gefangenen als Zirkustruppe und gemeinsam geht es quer durch den Balkan Richtung Türkei. Und so verrückt es klingt: Diese Geschichte ist tatsächlich passiert.

Neben seiner Tätigkeit als  Kinder- und Jugendpsychiater hat Jakob Hein zahlreiche Romane, Drehbücher und Theaterstücke geschrieben, die sich durch Ironie und das subtile Ausloten der Figuren „zwischen den Zeilen“ auszeichnen.


 

Mirko Bonné, Autor

Der eiskalte Himmel 

Im Sommer 1914 bricht Ernest Shackleton mit einer 26-köpfigen Crew an Bord der „Endurance“ in die Antarktis auf, um den Eiskontinent als Erster zu Fuß zu durchqueren. Als das Schiff einfriert, zermalmt wird und die Männer sich nur mit dem Nötigsten auf das driftende Packeis retten, beginnt ein Wettlauf ums Überleben. Bonnés Roman stellt einen zweifelnden Helden dar: Shackleton entscheidet sich gegen Prestige-Ziele und dafür, keinen Schutzbefohlenen aufzugeben. Erzähler ist ein 17-jähriger Blinder Passagier: Blackboro erlebt die Rückkehr in die „Zivilisation“ ebenso mit, wie das Verheiztwerden von Kameraden im 1. Weltkrieg.

Mirko Bonné ist Erzähler, Lyriker und Übersetzer und lebt in Hamburg. Zuletzt erschienen Die Widerspenstigkeit. Ein Märchen (2017) und der Roman Lichter als der Tag (2017), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Sein Werk wurde u.a. mit dem Marie Luise Kaschnitz-Preis und dem Rainer Malkowski-Preis ausgezeichnet. 


 

Julia Drache, Drehbuchautorin

Watu Wote (Kurzfilm) 

Der Film Watu Wote (Wir alle) basiert auf einer wahren Geschichte, die sich 2015 im Grenzgebiet zwischen Kenia und Somalia abspielte: Terroristen der islamistischen Al Shabaab-Miliz halten einen Überlandbus an und fordern die christlichen Mitreisenden dazu auf, sich von den Muslimen zu separieren, um sie hinzurichten. Doch die muslimischen Fahrgäste weigern sich in stillschweigender Übereinkunft, die Christen auszuliefern. Und zahlen einen hohen Preis dafür…

Die gebürtige Lindauerin studierte an der Hamburg Media School. "Watu Wote" ist ihr Abschlussfilm. Er gewann neben vielen anderen Preisen 2017 den Studenten-Oscar in der Kategorie "Bester Internationaler Film" und ist für den Academy Award 2018 (Oscar) nominiert.


 

 Julian Aicher, Autor, Verleger & Veranstalter

Otl Aicher: Innenseiten des Krieges 

Otto „Otl“ Aicher, geboren 1922, geriet schon früh mit dem NS-Regime in schwere Konflikte. Er gehörte zum Freundeskreis von Hans und Sophie Scholl und heiratete deren ältere Schwester Inge. Seine Gedanken über seine Zeit als Soldat im 2. Weltkrieg veröffentlichte er 40 Jahre nach Kriegsende, denn er wollte „zu denen gehören, auf deren Gesinnung Verlass ist, die im Aushalten und Durchstehen von Geschichte gelernt haben, vor sich Selbstachtung haben zu können“. Aicher, einer der bedeutendsten Designer des 20. Jahrhunderts, war Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm.

Otl Aichers Sohn Julian leiht in dieser Lesung den Kriegserinnerungen seines Vaters seine Stimme. Er ist Inhaber des Kleinwasserkraftwerks Leutkirch-Rotismühle und engagiert sich als Mitglied der ÖDP im Kreistag von Ravensburg in vielfältiger Weise politisch, u.a. für regenerative Energien.


 

 Verena Lugert, Köchin & Journalistin

Die Irren mit dem Messer 

Was bringt Menschen dazu, in Spitzenküchen von früh bis spät bis zum Umfallen zu arbeiten, sich anschreien und erniedrigen zu lassen und weitgehend auf ein eigenes Leben zu verzichten? In Die Irren mit dem Messer geht es um gnadenlosen Druck, blank liegende Nerven, Adrenalinrausch und Erschöpfung, übergroße Egos und um Selbstbehauptung in einer nahezu reinen Männerwelt. Aber auch um das gleißende Glück, wenn der perfekte Teller gelingt. Die Sterneküche als Tummelplatz von echten Helden – oder falschen Idolen?

Verena Lugert studierte Literatur in München, Valencia und Lissabon und arbeitete als Absolventin der Henri-Nannen-Schule erfolgreich als Journalistin. Mit fast 40 beschloss sie, an der berühmten Kochschule Le Cordon Bleu in London Köchin zu werden. Danach heuerte sie beim britischen Starkoch Gordon Ramsay an. Heute pendelt sie beruflich zwischen Sterneküche und Schreibtisch.


 

 Dennis Pulina, Forscher

Heldenbilder einst und jetzt 

Zunächst geht es um den Prototyp des „Kriegers“. Während der antike Held vergöttlicht wurde, sollte der Kriegsheld ab dem Mittelalter christlichen Idealen entsprechend ethisch korrekt handeln. Ideal und Wirklichkeit klafften jedoch schon damals auseinander. Die Massenmedien erlauben heute einen noch deutlicheren Blick auf die Mehrdeutigkeit des Heldenideales im Krieg.Im zweiten Vortrag wird gezeigt, wie sehr sich die Sichtweise auf Entdecker gewandelt hat. So wurde Kolumbus bei der 400-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas als Nationalheld gerühmt. Doch heute wird er, wie andere Entdecker auch, wegen der Unterwerfung der Ureinwohner und wegen seiner Rolle bei der Kolonialisierung der Welt viel kritischer gesehen. 

Dennis Pulina  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Sonderforschungsbereich „Helden – Heroisierungen – Heroismen“.  Zurzeit promoviert er zum Thema "Heroisierungen Kaiser Maximilians I."


 

Alina Noveanu, Philosophin

Ernst Jünger - Die Freiheit des Helden  

Als Soldat erlebte Ernst Jünger den Ersten Weltkrieg. In seinen berühmten Stahlgewittern schilderte er den Blick in den Abgrund der Zivilisation und zeigte sich erstaunlich unerschrocken, geradezu heroisch. Was ihn dazu befähigte, war die Entdeckung eines „anderen Bewusstseins“, von dem aus er sich selbst und das Weltgeschehen distanziert beobachtete. Das erfordere, so Jünger in seinem späteren Essay Der Waldgang, eine elementare Freiheit gegenüber allen vereinnahmenden Mächten der modernen Gesellschaft. Es gehe um eine unverstellte Freiheit, die den Bedrohungen standhalte und aus den überzeitlichen Quellen des Seins schöpfe. Ein Heldenbewusstsein?

Dr. Alina Noveanu studierte Philosophie an der Universität in Cluj/Klausenburg. Sie lehrt dort am Philosophischen Seminar und ist gleichzeitig Gastdozentin an der Universität Tübingen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Gegenwartsphilosophie und die Philosophie der Antike.


 

Paulus Hochgatterer, Autor

Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war

Auf dem Hof einer österreichischen Bauernfamilie taucht am Ende des Zweiten Weltkrieges ein geflüchteter Russe auf. Seine Herkunft bleibt unklar, genau wie die Herkunft der halbwüchsigen Nelli, die ebenfalls bei der Familie gestrandet ist. Die beiden Heimatlosen sind sich ihrer Verletzlichkeit bewusst, als plötzlich deutsche Wehrmachtssoldaten ungefragt Quartier auf dem Hof beziehen. Diese treten bedrohlich auf, und sie stellen zu viele Fragen. Da entschließt sich der Bauer, im rechtsfreien Raum der letzten Kriegstage das Problem auf seine Weise zu lösen. Oder war es vielleicht ganz anders?

Paulus Hochgatterer studierte Medizin und Psychologie. Er ist Kinderpsychiater in Wien und  hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht. Diese wurden unter anderem mit dem Literaturpreis der Europäischen Union und dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur ausgezeichnet.


 

Ronen Steinke, Journalist

Fritz Bauer oder: Auschwitz vor Gericht 

Der jüdische Sozialdemokrat Fritz Bauer hatte im Exil das Dritte Reich überlebt. 1956 wurde er hessischer Generalsstaatsanwalt. Seine spannende Biografie, die unter dem Titel Der Staat gegen Fritz Bauer verfilmt wurde, erzählt, wie der kämpferische Jurist gegen den Widerstand der „braunen“  Justiz in Nachkriegsdeutschland den großen Auschwitz-Prozess durchsetzt. Seinen Recherchen verdankte der israelische Geheimdienst außerdem den entscheidenden Hinweis, der zur Ergreifung und Verurteilung Adolf Eichmanns führte.

Ronen Steinke studierte Rechtswissenschaften und Kriminologie und promovierte mit einer Arbeit über Kriegsverbrechertribunale von 1945 bis heute. Er arbeitete am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.  Heute ist er Redakteur der Süddeutschen Zeitung im Ressort Innenpolitik.


 

 Rezension der Salonnacht in der "Schwäbischen Zeitung: